F119, with Regina Dürig



 

 

Bundle F119 contains a total of 151 photographs, 32 of which have handwritten references on the back that furnish information about their time (1969–84), location (Duisburg), and names and events (“Gypsy camp school festival, class 5”, “Carnival Abbey”).

Based on the similar content-related approaches of my 5-minute/inventory drawings and the Contraintes (some very Oulipo, others self-constructed) with which Regina Dürig develops texts, she and I created a combination of approaches for bundle F119: a conversation consisting of short prose passages and drawings.

This dialogue arises when both of us pull a photograph out of the bundle and respond to it in a space of five minutes: I with a drawing, Dürig with a text. After doing this with a few photographs, all the resultant texts and drawings are mixed and exchanged. Then Dürig writes a text for each drawing and I make a drawing for each text, again in 5 minutes. This results in four responses per photograph: two direct ones to the photos and two indirect ones. Thus a total of 302 drawings and 302 texts.

The time limit forces a spontaneous, more or less unfiltered reaction to the photos: What can be seen here? What not? To what does the gaze turn first?

“After the five minutes are up, I often find myself looking at texts about which I have no idea where they come from. Figures ask serially for directions, men live in walls, a child made of glass shatters”, writes Dürig. I am also concerned with a kind of “outsmarting myself: during the work the thought process is practically brought to a standstill. It’s not about capturing the most beautiful, most worth drawing, most touching of the photographs, but about telling an unfiltered and very personal story of the very first impressions throughout the bundle. The blunt and often rough-looking drawings blow the incidental out of the constellation and thus give them a special focus.”

Both in Dürig’s texts and in my drawings, a kind of rawness persists, which, through the harmony of our efforts, dissolves into poetry and wit.
 

–> Regina Dürig
–> studio-views (Berlin, 2020)
–> exhibition-views (Kunsthaus Langenthal, CH, 2020)

Selection of some short prose passages by Regina Dürig on F119
 

114T01
– Carlotta, hast du Karneval vergessen? Hat die Mama wieder keine Zeit
gehabt, ein Kostüm zu nähen? Ein Jammer, dass alle so bunt aussehen, so
maritim oder eingeboren, nur du, Carlotta, bist langweilig und grau.
– Aber ich habe mich verkleidet. Sehen Sie doch, Frau Kares, ich bin
Grundschullehrerin, genau wie Sie.

114T02
Ich wünsche mir nichts, sagte sie, obschon sie, wie alle, eine ganze
Menge Wünsche hatte. Der dringendste davon war, sich eine Umarmung
maßschneidern zu lassen aus englischer Wolle, gefüttert mit Seide, um
das Hineinschlüpfen widerstandslos zu machen und glatt.

116T01
Das Berühren fremder Knie mit den eigenen Knien aufgrund räumlicher
Gegebenheiten (i. d. R. U-Bahn, Gruppenausflug auf einem Motorboot,
Taxi-Rückbank) löst in mir ein freudiges Unwohlsein aus, das schwer zu
lokalisieren ist: irgendwo zwischen Zwerchfell und Rippenkästchen, würde
ich sagen.

116T02
Die Schildkrötenfrau muss aus der Winterstarre erwacht sein, denn aller
Kohl ist angefressen, genau wie der Salbei. Wir beneiden sie nicht
darum, den Panzer umherschleifen zu müssen, das Reiben zu ertragen auf
Straßenbelag, das Knirschen auf Kies. Dennoch wäre es uns lieber, wenn
sie sich nicht durch die Gärten klauen würde, wenn sie mehr Anstand
zeigte und Menschlichkeit.

130T01
Handwarm gepflückt: Erdbeeren, Erdschöpfung, Erinnerung

130T02
In den Pfützen der Empfindsamkeit hallt das Heranwachsen lautlos nach.

143T01
Es scheint naheliegend, dass viele Männer, die sich dem Glauben
verschrieben haben, ein Sehnen nach einem zweiten Körper verspüren,
angemessen biegsam. Nur einer sehnte sich danach, allein zu bleiben,
aber als Cowboy, am Feuer, in der Prärie.

143T02
Mitten auf der Kreuzung steht eine eilig aus Reisig zusammengebundene
Überheblichkeit. Es hätte beinahe Unfälle gegeben, aber niemand hält an,
steigt aus und brennt sie nieder.

145T01
Ich wünschte, wir müssten nicht unsere Kleider falten und in Koffer
legen, die Koffer verschnüren und zum Bahnhof bringen lassen, wo sie von
einem Handpaar zum nächsten gereicht werden, bis sie an einem
einigermaßen sicheren Platz stehen. Ich wünschte, wir könnten die Reise
hier unternehmen, auf dem runden Teppich. Wir könnten das Gebirge
bereisen, zu dem dein Rock sich aufgefaltet hat, in langen Serpentinen,
und immer wieder Rast machen am Wegesrand, neben Raben, neben Kiefern,
neben Seen.

145T02
sich an die eigene Verwirrung anschleichen und sie doch nie zu fassen
kriegen, nicht in den Griff

050T01
Wie er war als Kind? Schwer zu sagen. Am ehesten war er ein Nadelbaum,
eine Lärche, gutmütig und vom ständigen Wind leicht gekrümmt.

050T02
Ich wüsste gern, ob Anziehungskraft und Fliehkraft physikalisch gesehen
das gleiche Phänomen beschreiben oder ein verwandtes oder ein
gegensätzliches. Ich wüsste auch gern, was das für uns heißt, für unser
Umeinanderkugeln, für unser Auf- und Untergehen, für unser sanftes
Verglühen.

095T01
Alma hatte die Gabe, sich zu verlaufen. Nie war sie leichtfertig darin,
im Gegenteil: Sie las Straßenkarten so aufmerksam wie niemand sonst, sie
notierte Straßennamen und Buslinien auf kleinen, hellgrünen Zetteln aus
rauem Papier. Und doch: Sobald die Karte wieder zusammengefaltet war,
klappten auch die Weltlinien weg in ein hell erleuchtetes Universum, das
außer Reichweite lag.

095T02
Ich war gern mit ihr zusammen. Leider küsste sie wie eine Wanderkarte:
eckig und übertrieben konturiert.

111T01
Bis ins hohe Alter wartete Alexej auf die Frau, die ihn komplett
ruinieren würde mit ihren Ansprüchen, ihrer Prunksucht, ihrem Neid.

111T02
Ich habe Theo einen derart hässlichen Schal gestrickt (weil ich nicht
stricken kann, mir aber eine Art Weiblichkeit beweisen wollte), dass die
eigentliche Geste der Liebe nicht die Stunden des kläglichen
Handarbeitens sind, sondern die Tatsache, dass er ihn tatsächlich trägt.

126T01
Auf dem Heimweg vom Baden malten die Spitzen ihrer Zöpfe dunkle Länder
auf ihren beblusten Rücken. Länder, die sie besuchen oder meiden würde?
Länder, die zerfallen würden, bis sie alt genug wäre, einen Pass, eine
Zugfahrkarte und einen Kurzhaarschnitt zu haben?

126T02
Zusammen die Kommode vors Fenster schieben, von dort aus in die Nacht
schauen und so wenig wie möglich blinzeln, um ja nichts zu verpassen:
keine Bewegung, keine Verheißung, keine Angst.

150T01
Zuversicht und Bananenmilch – der Proviant unserer Jugend

150T02
Wenn ich gewusst hätte, dass die Blätter, die aus deiner Haut wachsen,
winterhart sind, hätte ich vor dem Einschlafen öfter an Ahorn gedacht.

 

 

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